Trotz Unbehagen mit dem Text – Lust auf Wiederentdeckung

Der Städtische Musikverein zu Düsseldorf ist sich seiner langen und großen Geschichte bewusst. Dazu gehört auch, besonders das Werk der ihm eng verbundenen Künstler vor dem Vergessen zu bewahren. So zum Beispiel auch das Oratorium „Saul“ von Ferdinand Hiller. Es wurde nachweislich letztmalig in den 1920er Jahren aufgeführt und es gibt – bis jetzt - keinerlei Tonaufnahmen von dem Werk. Schon die Beschaffung der Partitur erforderte viel akribische Detektivarbeit, denn auch der Musikverlag, der die Noten herausgegeben hatte, konnte nicht weiterhelfen. Schließlich fand sich aber ein Klavierauszug und die Partitur in der British Library.
David spielt die Harfe vor Saul


Mit Beginn der Einstudierung wurde klar, dass es sich hier um ein musikalisch sehr interessantes Werk mit ungewohnten, aber sehr spannenden harmonischen Wendungen handelt, das auf jeden Fall wert ist, wieder aufgeführt zu werden.
Aber der Text des Oratoriums wirft Fragen auf, denn er ist alles andere als eine philharmonische Vision „Ewigen Friedens“. In Umkehrung des christlichen Slogans von „Schwertern zu Pflugscharen“ ist der von Hiller in Töne gesetzte Aufruf „Werfet hin den Hirtenstab – greift zu Schild und Waffen“ ein militanter Imperativ, der im Namen Gottes verkündet wird.
Spätestens die Textstelle „… sie seien ausgerottet vom Erdenrund“, in der die gnadenlose und komplette Vernichtung des Gegners gefordert wird, führte zu intensiven Diskussionen innerhalb des Musikvereins.
Zwar ist das Gottesbild eines zornigen, strafenden und sogar rächenden Schöpfers auch in anderen Oratorien zu finden. In vielen zeitgleich entstandenen chorsinfonischen Werken mit biblischem Inhalt werden durchaus ähnliche Texte vertont, die jedoch aufgrund des hohen Bekanntheitsgrades der Komponisten und der Werke weniger kritisch hinterfragt werden.
Aber kann man bei der weltweiten Ausbreitung extremistischer Weltanschauungen mit Absolutheitsanspruch ein derartiges Werk überhaupt wieder aus der Versenkung holen? Und welche Botschaft soll von der Wiederaufführung des Oratoriums ausgehen, wenn sich zeitgleich die Nachfahren des Volkes Israel und der Philister, der heutigen Palästinenser immer neue blutige Auseinandersetzungen im „Heiligen Land“ liefern?
Wir interpretieren das Libretto des Hiller’schen Oratoriums im doppelten Sinne als ein in die Geschichte gehörendes. Es ist eine historische, überholte und in ihrer Zeit gefangene Weltsicht, die von Menschen jener Epoche dem Göttlichen in den Mund gelegt wird.
Manche Textstellen kommen uns nur schwer über die Lippen. Aber das Bewusstsein, große Kunst aus einer Zeit zu interpretieren, in der von der gesetzlich verankerten Unantastbarkeit der Würde des Menschen noch nicht die Rede sein konnte, relativiert das Unbehagen. Dies lässt uns nicht vorbehaltlos, aber dennoch neugierig und mit Ehrfurcht vor dem musikalisch sehr hörenswerten Werk musizieren.
Die offene und intensive Diskussion innerhalb des Musikvereins über das Libretto führte auch zu dem erkenntnisreichen Essay „SAUL: Herrschaft als Selbstzweck?“ unseres Bassisten Udo Kasprowicz, den wir gerne mit der Empfehlung zum nachdenklichen Lesen einstellen.

Ihr Stefan Schwartze
Vorsitzender des Städtischen Musikvereins

PS.: Für alle, die neugierig geworden sind und das fast vergessene Werk nun auch hören wollen: Die geplanten Aufführungen zusammen mit der Kölner Akademie unter Leitung von Michael Willens sind

  • Freitag, der 22. Oktober um 19:30 Uhr in Essen in der Kreuzeskirche, Kreuzeskirchstr. 1
  • Samstag, der 23. Oktober um 19:00 Uhr in Duisburg in der Salvatorkirche, Burgplatz 19
  • Sonntag, der 24. Oktober um 17:00 Uhr in Köln in der Trinitatiskirche, Filzengraben 4 – 6
  • Samstag, der 30. Oktober um 19:00 Uhr im Konzerthaus Dortmund, Brueckstr. 21 sowie
  • Sonntag, den 31. Oktober um 18:00 Uhr in der Tonhalle Düsseldorf, Ehrenhof 1.