Bei der Suche nach Gründen, wie man zum Schreiben eines Kinderbuches kommt, bin ich von mir ausgegangen: Erlebnisse mit Enkeln, Großelternfreuden also, plötzlich eine gute Idee und los geht´s…War´s bei Dir so oder anders?
Es war ganz anders. Ich habe schon immer gerne Texte, auch Liedtexte, geschrieben. Schon als Schülerin hatte ich Spaß daran. Allerdings hatte sich nie die Gelegenheit ergeben, mehr daraus zu machen. Erst als ich die Gelegenheit bekam den Chor, in dem meine Kinder mitgesungen haben, und später eine von mir gegründete Theatergruppe, das Chamäleon Theater an St. Martinus Kaarst zu leiten, konnte sich diese Neigung entfalten. Ein paar wichtige Erfahrungen, wie man ein Theater aufzieht, habe ich auch im Extrachor des Stadttheaters Aachen sammeln können. Da meine erste Berufsausbildung zur Erzieherin und Musik und Gesang schon immer ein Lebensbestandteil von mir war, habe ich einfach alles zusammengeworfen und umgesetzt. Im ersten Jahr haben wir noch ein Stück von Ursula Wölfel gespielt. Dann habe ich mir überlegt, ich könnte ja auch selbst etwas schreiben. Ideen gab es genug. Als ich dann im Jahr darauf mein erstes eigenes Theaterstück „Keep cool, sagte der Storch“ fertig geschrieben hatte, mussten wir es noch mit reichlich Musik und entsprechenden Bewegungseinlagen strecken, weil ich erst noch lernen musste, wie viele Text es braucht, damit ein paar Minuten auf der Bühne gespielt werden konnten. Später war das kein Problem mehr, auch weil die Gruppe wuchs und natürlich jeder auch etwas zu sagen haben wollte.
Die Zeit mit dem Chamäleon Theater in Kaarst war eine tolle Zeit, in der viel passiert ist und ich durch die Regie noch einmal ganz anders mit jungen und älteren Menschen arbeiten konnte. Die Gruppe war altersgemischt mit bis zu 20 Schauspielern. Da war immer etwas los.
Würdest Du uns einen kleinen Vorgeschmack auf den Inhalt geben?
Ein Wissenschaftlerehepaar reist zu einem Forschungsaufenthalt an einen abgelegenen Ort im Ausland und lässt seine beiden Kinder in der Obhut einer Tante. Ausgelöst durch einen Unfall mit anschließendem Krankenhausaufenthalt wird Vater Max von einem traumatischen Erlebnis in seiner Kindheit heimgesucht, bei dem ein Freund zu Tode kommt. Er versucht, die Erinnerungen daran in einem Märchen zu bearbeiten, das er seinen Kindern bei der Rückkehr schenkt.
Auf den ersten Blick ist das Thema Tod, Verlust, Trauer für manche Lesende vielleicht abschreckend. Ehrlich gesagt, versuche ich diese drastische Formulierung in den Texten zum Marketing auch zu vermeiden. Es sind zwar sehr wichtige und lebensnahe Themen, die jedoch gerne verdrängt werden. Gerade Kindern gegenüber.
Im Märchen verliert das Mädchen Lina ihre Freundin bei einem Unfall. Der Kern, um den sich alles dreht ist, dass beide Mädchen sich nicht voneinander verabschieden konnten. Durch einen vorangegangenen Streit der beiden gibt es ein loses Ende und Lina gibt sich in ihrer Trauer und Verzweiflung auch noch die Schuld an Stellas Unfall. Ihre Mutter tut alles um sie zu trösten, aber Lina schläft verzweifelt ein. Wie in Märchen üblich, betreten nun gewisse Wesen die Bühne und bestimmen die Handlung maßgeblich, so dass Lina und Stella, der es nicht besser geht als ihrer Freundin und die gewissermaßen „feststeckt“, tatsächlich in einer anderen Welt Abschied nehmen können. Auch Vater Max kann mit seinem Kindheitserlebnis abschließen und findet damit auch seinen Frieden.
Hattest Du nicht Sorge, die Kinder durch die scharfen Gegensätze zwischen „Gut“ und „Böse“, zwischen „Rettung“ und „Verdammnis“ zu ängstigen, statt mit dem Tod zu versöhnen?
Bevor ich weiter auf die Frage eingehe, möchte ich kurzgefasst erklären, dass Kinder nur das sehen und verstehen, was sie kennen. Und zwar ihrem Alter, ihrer Entwicklung und ihrer Erfahrung entsprechend. Der Blickwinkel eines Erwachsenen ist ihnen noch fremd und es wäre falsch, unseren Eindruck oder unsere Sicht auf Kinder zu projizieren. Das würde sie überfordern und für Verwirrung sorgen.
Interessanterweise habe ich bei keiner Aufführung so etwas wie Verängstigung bei den Kindern im Publikum feststellen können. Spannung schon. Auch sind im Nachhinein keine Kritiken in dieser Art geäußert worden. Weder von Kindern noch von Erwachsenen. Wir haben dieses Theaterstück, entgegen unserer sonstigen Gewohnheit, auf vielfachen Wunsch nach zehn Jahren sogar noch einmal auf die Bühne gebracht. Die Reaktionen des Publikums waren vergleichbar mit denen der Uraufführung. Da wir immer vier Vorstellungen verteilt auf zwei Wochenenden gespielt haben, hat die Mundpropaganda in der Zeit dazwischen für ein volles Haus gesorgt. Auch die Leserinnen des Manuskripts und die Lektorinnen haben diese Bedenken nicht geäußert. Für alle, mit denen ich im Gespräch war und auch mit dem damaligen Publikum, stand beim Zuschauen und beim Lesen immer Linas Trauer und das Ende mit dem liebevollen Abschied der beiden Mädchen voneinander im Vordergrund. Im Gegenteil, fanden sie gerade die Gegensätze sehr lebensnah und waren über die Konstellation der Figuren in keiner Weise überrascht. Wenn man von Kindern ausgeht, so kennen sie von früh an die Gegensätze von Gut und Böse durchaus. Nicht zuletzt basieren viele Volksmärchen genau darauf. Auch Märchenerzähler wie z. B. Christian Andersen haben Handlungen erfunden, in denen bei Weitem nicht nur eitel Sonnenschein herrscht und das Ende in der Formel „… und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute“ als Happy End aufgeht. So ergeht es der Kleinen Meerjungfrau am Ende schlecht und ihr sehnlichster Wunsch geht nicht in Erfüllung, sondern sie verliert ihr Leben, in dem sie in Meerschaum aufgeht.
Jedenfalls steht es so im Original. Was die Animationsfilmindustrie daraus gemacht hat, möchte ich hier nicht weiter kommentieren. In späteren Kinder- bzw. Jugendjahren werden Fantasygeschichten immer wichtiger in der Literatur. Auch hier entsteht die Spannung gerade durch den Kampf des Guten gegen das Böse. Wichtig ist, auch in meinen Augen, dass das Gute zwar i. d. Regel das Böse besiegt, aber auch nur temporär. So wie es auch in der Stella Geschichte der Fall ist. Gut und Böse und dieses ganze Spannungsfeld gehören zu unserem Leben und den Kulturen der Welt. So ist auch die Existenz des Dunklen Reiches mit seinem Herrscher Mogrul und im Gegensatz dazu die Wunschfee zu verstehen. Aus dem Text, den Mogrul spricht, beklagt er, dass er immer der Unterlegene von beiden ist und empfindet sich als Opfer. Er erklärt den Lesenden auch, dass sie beide aus einem Stamm (Familie) kommen und sich durch gewisse Umstände in ihre jeweiligen Richtungen entwickelt haben. Das ist in meinen Augen auch nahe an der Realität, denn wer kennt nicht Familien, in denen die Kinder sich in ganz verschiedene Richtungen entwickeln. Wenn es schlecht läuft, könnten Biographien z. B. soweit ins sozial Unerwünschte abdriften, dass man das Kind bzw. später den erwachsenen Menschen zeitweise oder gar nicht mehr „einfangen“ kann. Sicherlich gibt es dafür Gründe, aber am Ende stehen sich die Familienmitglieder u. U. unversöhnlich gegenüber. Auch das ist für Kinder nichts Ungewöhnliches. Sie erleben ihre eigene Familie auch als Spannungsfeld mit wechselnden Stimmungen und wechselnden Verbündeten. Sie erleben vielleicht die Scheidung der Eltern, das Auftauchen von neuen Partnern und ggf. auch weiteren echten und Patchwork-Geschwistern. Sie kämpfen um ihre Stellung in der Familie, um die Liebe der Eltern, müssen sich mit den neuen Gegebenheiten arrangieren und sich um ihr seelisches Wohl sorgen. Und das ist noch die „gute“ Variante. Leider viel zu viele Kinder kennen auch die „böse“ Variante, nämlich Machtkämpfe und Gewalt in Familien bis hin zu Missbrauch, Mord und Todschlag. Die Nachrichten berichten viel zu oft von solchen Auswüchsen und Katastrophen. Die Kinder können selbst betroffen sein, oder sie haben Freundinnen, die etwas Derartiges erleben müssen. Nicht zuletzt gehen Kinder auch gegenseitig nicht zimperlich miteinander um. Siehe Mobbing in der Schule und im Freundeskreis und, besonders grausam, weil mit großer Reichweite, in den sozialen Medien. Kinder leben mitnichten in einer heilen Welt! Sie geben sich oft die Schuld an dem, was ihnen widerfährt. Genau das aber, eine Schuld zuzuweisen, war in keinem Moment meine Intention und findet sich auch nicht im Text wieder. Im Gegenteil war mein Anliegen, Lina, die sich ja die Schuld am Unfall gibt, davon freizusprechen und zu erklären, dass es manchmal Dinge gibt, die passieren, ohne dass wir sie beeinflussen könnten. In der Erwachsenensprache sagen wir dann z. B., dass „man zur falschen Zeit am falschen Ort war“, was letztlich auch nur ein Versuch ist, die Dinge zu fassen und nicht an ihnen zu verzweifeln. Ich habe versucht, jede handelnde Person in der Geschichte liebevoll darzustellen, auch die im Dunklen Reich. So hat Mogrul durchaus seine schwachen Momente und auch die Kobolde waren ja mal reinen Herzens in einer anderen Welt, aus der sie kamen und bevor sie unter den Einfluss des Bösen gerieten. So wird ja auch einer, Felix (der Name ist nicht zufällig gewählt) errettet und die Handlung lässt die Möglichkeit offen, dass auch andere erlöst werden können. Die Wunschfee ist die Gute, aber auch sie hadert manchmal mit den Mühen, die ihr Job ihr auferlegt. Die Elfen des Vorhimmels sind Stella, ihren Aufgaben entsprechend, sehr zugetan, können aber auch keine Wunder vollbringen. Allein die beiden Mädchen können sich gegenseitig „erlösen“ und die jeweils andere in die Lage versetzen, ihren eigenen Weg zu finden und das Geschehene in das eigene Leben zu integrieren bzw. im Ewigen Himmel aufgehen zu lassen. Ob es eine Versöhnung mit dem Tod selbst geben kann, möchte ich hier offenlassen. Das ist noch einmal ein ganz anderer Aspekt, den ich aber nicht vor Augen hatte, als ich die Geschichte geschrieben habe.
Für die Buchausgabe hast Du die Geschichte durch eine Rahmenhandlung erweitert. Dazu hast Du mit der Wahl zweier Astrophysiker als Eltern, die sich obendrein noch auf Forschungsreise befinden, den größtmöglichen Gegensatz zur Märchenhandlung gewählt. Steckt dahinter eine Absicht?
Nein, keine Absicht im direkten Sinne. Doch hier fließen meine eigenen Erfahrungen in die Geschichte ein. Ich bin seit 37 Jahren mit einem promovierten Physiker verheiratet. Wir haben vor 24 Jahren eine Produktionsfirma für Lasergeräte für Forschung und Entwicklung gegründet und erfolgreich entwickelt. Wir stehen in ständigem Kontakt mit Forschenden auf der ganzen Welt aus allen Gebieten, wo unsere verschiedenen Laser zum Einsatz kommen können. Wir erleben, dass sie mit und ohne Familien auf der ganzen Welt unterwegs und in wechselnden Instituten tätig sind. Dass sie auch für Projekte zeitweise ihren Wohnsitz und Lebensmittelpunkt ändern. Zudem hege ich eine gewisse Faszination für Sterne und teile diese mit meinem Mann, ohne dass wir aber z. B. mit einem Teleskop unterwegs sind. Es ist mehr die Erscheinung der Himmelskörper im Allgemeinen. Wir schauen oft in den Nachthimmel und versuchen einige Sterne oder Planeten zu erkennen. Ein Urlaub auf der Insel La Palma und ein Besuch mit Führung im Gran Telescopio Canarias (das größte Infrarot-Teleskop der Welt) dort war ebenfalls sehr interessant und aufschlussreich. Daher stammen die Beschreibungen über die Nachtarbeit der Forschenden und die Kenntnisse über die Vernetzung der Projekte über die ganze Welt. Den Sternenhimmel über La Palma werde ich nie vergessen. Da bekommt der Begriff „Sternenzelt“ eine ganz neue Dimension. So etwas habe ich vorher noch nie gesehen. Das Bild im Buch von Max und Nina Arm in Arm unter dem Sternenhimmel beschreibt diese romantische Stimmung sehr schön. Auch Naturwissenschaftler schauen nicht nur durch die Brille der reinen Wissenschaft, sondern viele haben auch einen anderen Blick auf die Dinge. Ob romantisch, verzaubert, verklärt oder wie man das nennen will. Ebenfalls haben viele Wissenschaftler auch einen Zugang zu Religion, gerade weil sie sich mit Naturwissenschaft beschäftigen. Etliche engagieren sich auch in Kirchengemeinden. Somit würde ich hier nicht von einem Gegensatz sprechen, sondern vielmehr vom menschlichen Bedürfnis nach Ordnung und Vollständigkeit. Die Paarung von Naturwissenschaft und Philosophie als Studienfächer ist gar nicht selten.
Das Chamäleon – Theater, für das Du Dich engagierst, ist im Umfeld der katholischen Pfarrgemeinde St. Martinus in Kaarst entstanden. Darf man den Erzählkern, das Märchen, als Parabel der christlichen Erlösungsbotschaft deuten?
Ich habe nichts dagegen, wenn dies so gesehen wird. Jedoch lag mir sehr viel daran, dass die Begriffe in dem Märchen so allgemeingültig wie möglich sind. So gibt es in vielen Religionen eine Form von Himmel oder Ewigkeit und Hölle oder Unterwelt, die im weitesten Sinne für das Gute und Erstrebsame bzw. das Böse stehen. Auch Menschen die keiner Religionsgemeinschaft anhören, können mit den Begriffen Himmel und Dunklem Reich etwas anfangen und sie einordnen. Das ist wichtig, damit auch Zuschauer und Leser, die einer anderen Kultur und/oder Religion als dem Christentum anhören, das Märchen verstehen. Ich kann mich noch gut erinnern, dass im Publikum einmal Hindus waren, die von dem Stück genauso begeistert waren, wie der katolische Geistliche der Pfarrgemeinde, die damalige Bürgermeisterin und die vielen Eltern, Großeltern und Freunde verschiedenen Alters, die ebenfalls dabei waren. Diskussionen über die Begrifflichkeiten oder die Notwendigkeit des Abschiednehmens und der damit verbundenen Erlösung hat es interessanterweise nie gegeben. Im Nachgang gab es immer nur einhellige Kommentare. Durchaus mit verschiedenen Schwerpunkten oder Sichtweisen, aber immer signalisierend, dass die Botschaft verstanden wurde.
Hast Du Dich bei der Arbeit am Buch als Autorin entdeckt? Entsteht vor Deinem geistigen Auge schon ein zweites Buch?
Wie oben schon erwähnt, schreibe ich schon lange gerne. Im Laufe der Theaterzeit habe ich insgesamt 20 Bühnenstücke geschrieben, die alle vom Chamäleon Theater uraufgeführt wurden. Das jetzt ein Buch entstanden ist, kann man als konsequente Weiterentwicklung ansehen. Weil Stella eines der Lieblingsstücke unserer Schauspieler und des Publikums war und ich das Thema nach wie vor sehr wichtig finde, habe ich es mir für mein erstes Buchprojekt ausgesucht. Diese Arbeit hat mir unglaublich viel Spaß gemacht. Deshalb habe ich bereits zwei weitere unserer Theaterstücke im Blick, die ich umschreiben will. Mit dem ersten habe ich gerade begonnen. Die angesprochene Altersgruppe wird mit 12 Jahren etwas älter sein und der Titel wird „Vollmond“ heißen, wie das Stück. Die Handlung dreht sich um einen historischen Mord im Mittelalter an einem jungen Mädchen in einer Kleinstadt, der nie ganz aufgeklärt wurde und sich gerade zum 500. Mal jährt. Ein Gruppe Jugendlicher arbeitet in einem Ferienworkshop an diesem Thema und findet mit Hilfe eines Geschichtsprofessors, eines Stadtangestellten und weiteren Mithelfenden heraus, was damals wirklich passiert ist. Eine wesentliche Rolle spielt auch eine Gestalt, die heute, aber auch schon damals die Strippen gezogen hat. Woran man erkennt, dass wieder mit mehreren Zeitebenen und Fantasyelementen gearbeitet wird. Am Ende muss die Stadtgeschichte umgeschrieben werden.
Unsere Neugier ist geweckt und wir erwarten mit Spannung den Zeitpunkt, an dem es erscheint.
(Den Himmel für Stella. ISBN 978-3-00-068340-4.)